
Crazy Elternabend
Juchhu! Es ist soweit! Unser Kleiner ist groß geworden und seit einer Woche ein Schulkind. Die Feier war wunderschön, und er war happy, mit seiner riesigen Schultüte.
Und ich? Stolz wie Bolle! Vor allem auf meinen Jungen. Daneben aber auch darauf, dass ich die aufwendigen Vorbereitungen so akribisch durchgeführt hatte. Ich hatte mit ihm die Star Wars-Schultüte selbst gebastelt. Und das, obwohl ich eine absolute Bastelniete bin. Und dann habe ich im Schreibwarenladen zwei riesige Listen mit all dem Zeug abgearbeitet, das ein Erstklässler laut Schulanordnung so braucht: Tonpapier und Transparentpapier, Jaxonkreide, DIN A 3-Zeichenblock mit Einsteckecken und ein „wasserlöslicher (non-permanent) Folienstift, blau, dünn“. Dazu die ganzen Hefte in allen denkbaren Formaten. Und vieles, vieles mehr. Ich war erschöpft und 130 € ärmer, aber glücklich. Denn ich fühlte mich wie eine gute, zuverlässige und fürsorgliche Mutter.
Doch dann kam der Tag des ersten Elternabends. Ich freute mich darauf. Im Kindergarten war ich immer gern zu Elternabenden gegangen. Und so setzte ich mich unbeschwert in den Stuhlkreis aus selig lächelnden Müttern und zwei verunsichert dreinblickenden Vätern, die sich angesichts der geballten Frauenpower offensichtlich fehl am Platze fühlten und in den knapp drei Stunden nicht ein einziges Mal den Mund aufmachten.
Es ging los. Die Lehrerin, eine schicke Mittvierzigerin, ertönte mit schriller Stimme. Sie begann damit, dass sie sich nicht vorzustellen brauche, sie sei ja seit 20 Jahren hier, und man kenne sie ja. Einige Mütter nickten beglückt, andere kürzlich Zugezogene (so wie ich), sahen sie verdattert an. Statt ihrer Person stellte sie mehrere Listen vor. Aus Datenschutzgründen war alles kompliziert, wessen Adresse wo genannt werden darf, etc., aber ich konnte noch folgen.
Als nächstes schneiten zwei selig lächelnde Mütter aus dem Elternbeirat herein. Wir sollten wählen. Und zwar zwei Elternvertreter (ja, das kenne ich) und eine Person für den Elternbeirat. Die soll aber keine der Elternvertreter sein. So brauchten wir schon drei. Doch ich hatte Glück. Zwei Mamis, die nebeneinander saßen und sich offenbar schon abgesprochen hatten, meldeten sich freiwillig. Sie waren aufgeregt wie Kinder vor der Weihnachtsbescherung. Für den Elternbeirat fand sich auch noch jemand, und die beiden Damen zogen wieder ab.
Dann wurde es für mich jedoch langsam verwirrend. Das Mitteilungsheft sei ja immer in der Transportmappe (ach echt?). Da stünden alle Nachrichten von ihr an uns drin. Meine Zwischenfrage, was überhaupt das Mitteilungsheft sei, beantwortete sie harsch, während mich die anderen Mütter mitleidig anlächelten. Nach dem Motto: Die dumme Nuss hat ja keine Ahnung, hat sie sich auf die Einschulung des Kindes nicht ordentlich vorbereitet? Per Mitteilungsheft sei ihr z.B. drei Tage vor Geburtstag des Kindes mitzuteilen, was das Kind mitbringt. Gern etwas Kuchen, aber keine Naschis.
Am gleichen Abend suchte ich übrigens noch nach dem Mitteilungsheft, fand es irgendwo im Ranzen. Seit Tagen wartete bereits eine Nachricht von Frau Lehrerin darauf, von mir gelesen zu werden: Wir hätten zweimal Transparentpapier gekauft (ja, so stand das auf den Listen), stattdessen bräuchten wir doch noch Buntpapier (stand definitiv nicht auf der Liste). Ich entschied, das zu ignorieren. Mein Kind muss erstmal ohne Buntpapier durchs Schulleben gehen. Ich hatte mit meinem zweistündigen Aufenthalt im Schreibwarenladen meine Schuldigkeit getan.
Aber zurück zum Elternabend: Ich hatte mittlerweile herausgefunden, dass es zwei Sorten von Müttern in der Runde gab: die meisten lächelten selig und etwas weltfremd, die ganze Zeit. Sie fanden alles toll, was Frau Lehrerin sagte und kannten sich auch schon untereinander aus Krabbelgruppe, Vormittagskita etc. Sie wussten genau, was JEKI und die „Lesemamas“ sind, und ihr einziger Lebensinhalt ist offensichtlich das gute Gedeihen ihrer lieben Kleinen. Sie begeisterten sich für alles, was vorgeschlagen wurde, hatten viel Zeit, vor allem vormittags, arbeiteten gar nicht oder auf 450 €-Basis und waren froh über die hereinprasselnden Aufgaben. Als Frau Lehrerin sagte, nicht jede Mutter (von Vätern war gar nicht die Rede) habe immer vormittags Zeit, es sei ja Trend, dass immer mehr arbeiteten, runzelten sie kurz die Stirn. Ich musste einsehen, dass ich gegen sie keine Chance hatte: SIE waren die guten Mütter, und jedes Mitteilungsheft war am richtigen Platz im Ranzen ihres Kindes.
Ein kleinerer Teil der Mütter hingegen (und dazu gehörte ich) sahen erst verwundert und irgendwann etwas resigniert aus.
Den Rest gab mir die folgende Kartoffelfeuer-Diskussion. In zwei Wochen sollten die Kinder unserer Klasse mit ihren „Paten“ aus der 4c zur großen örtlichen Festwiese gehen und dort ein Kartoffelfeuer machen. Eine der Mütter hatte gleich in beiden der Klassen ein Kind und ereiferte sich offensichtlich sehr für diese Kartoffelsache. Es gäbe ja soviel dafür zu organisieren. Man brauche Eltern, die Feuerholz bereitstellen und solche, die es am Abend vorher zur Festwiese fahren. Des Weiteren mehrere mit Wasser gefüllte Gießkannen und zusätzlich so und so viel Liter an Löschwasser, das habe sie mit Gemeinde und Feuerwehr abgesprochen. Wer könne das alles übernehmen? Zum Glück kochen und wickeln die Mütter aus der 4c die Kartoffeln (von Vätern ist immer noch keine Rede). Aber wir brauchen noch jede Menge Sour Creme. Und weil die Kinder es so lieben, Stöcke ins Feuer zu halten, auch noch Teig für Stockbrot. Eine Mutter erwähnte, sie habe gerade für einen Vater-Kind-Tag Stockbrotteig gemacht, sie könne das übernehmen (häh, SIE hat den Teig für einen Vätertag gemacht??). Dann der kluge und von mir durchaus nachzuvollziehende Einwand: die Kinder essen das Zeug gar nicht, sie wollen nur einen Stock ins Feuer halten. Ich dachte kurz daran anzubieten, Marshmallows mitzubringen. Ach nee, lieber nicht. Ich werde ganz sicher nicht die böse Zuckermutter sein! Also doch Stockbrot. Die meisten Aufgaben übernehmen die selig Lächelnden. Zwei sind besonders aufgeregt: sie teilen sich die Aufgabe, einen Anhänger anzudocken und ganz crazy das Holz zum Feuer zu karren. Sie freuen sich wie Achtklässlerinnen, die den geheimen Schnapstransport ins Schullandheim übernehmen. Doch mir schwant Übles: auch die selig Lächelnden werden irgendwann mit Arbeit eingedeckt sein, und dann gibt es kein Entrinnen mehr für mich.
Denn es geht munter weiter: Es soll einen Ausflug zur Schlittschuhbahn und einen ins Theater geben. Dafür werden Begleitmütter benötigt. Und dann eine lange Liste, wo man sich als Lesemutter eintragen kann. Frau Lehrerin sieht an dieser Stelle ein, dass einige berufstätige Mütter damit vielleicht Probleme bekommen, aber wir könnten doch sicher mal mit dem Chef reden… . Ach so, und der Weihnachtsbasar, für den Verkauf werden auch noch Mütter benötigt. Und vorher müssen Plätzchen gebacken werden. Auch über Ostern kann man nie zu früh reden. Die Eltern sollen die Nester verstecken. Da kommen nämlich ganz tolle Knobelhefte rein…
Endgültig fliegt mir die Kinnlade runter, als es um Nikolaus geht. Da kommt nämlich der Nikolaus in die Schule. Gut, denke ich, dann soll der seinen Job machen, und alle sind glücklich. Aber weit gefehlt! Alle Mütter sollen zu diesem Zweck einen Umschlag für ein Büchlein selbst gestalten, in das die Kleinen ihre Geheimnisse reinschreiben können. Und dann werden Mütter benötigt, die Säcklein für die Geschenke bestellen, und dann noch welche, die diese Säcklein am Abend vor Nikolaus mit Mandarine, Apfel und dem bewussten Büchlein befüllen. Nun falle ich wirklich vom Glauben ab (was eigentlich schwer möglich ist, denn über mir wacht streng das klasseneigene, von Söder verordnete Kruzifix).
Ich sehe mich vorsichtig um. Den meisten rückt das selige Lächeln immer noch nicht aus dem Gesicht. Ich erspähe einen spanischen Vater, der nur ahnungslos guckt, weil er seit zwei Stunden kein Wort versteht, und zwei bis drei Mütter, die wie ich ein wenig skeptisch schauen.
Nun ist es so, dass ich auch möchte, dass mein Kind glücklich ist. Es soll gern ein Kartoffelfeuer haben, wenn sich der Aufwand in Grenzen hält (obwohl Kinder erfahrungsgemäß von diesen Kartoffeln und Stockbroten so gut wie nichts essen). Doch das Ganze hier hat kein Maß mehr. Kein Wunder, dass es in Bayern so viele Hausfrauen gibt. Hier lebt noch das weibliche Ehrenamt. Mütter haben so viel mit Kinderorga zu tun, dass zur Lohnarbeit keine Zeit mehr bleibt. Da müssen schon 13 Wochen Schulferien überbrückt werden, weil die Ferienbetreuung teuer und restlos überfüllt ist. Und dann soll frau auch noch zahlreiche Vormittage als Begleit-, Bastel-, Back- und Lesemama dienen.
Ich denke, die Kinder sind auch so glücklich, auch wenn die Sour creme mal fehlt, beim Kartoffelfeuer. Ein Osternest bekommen sie auch zu Hause, warum soll ich dann noch eins in der Schule verstecken? Und der liebe Nikolaus soll seine Arbeit mal schön allein machen. Ein paar Mamas scheinen den Arbeiten ja hinterher zu hecheln, aus Mangel an eigenen finanziell entlohnten Tätigkeiten. Aber muss man dann alle anderen auch mit reinreißen? Die, die sich abstrampeln, um die ganzen Schließzeiten zu überbrücken und neben dem Job auch noch Haushalt und Kinder wuppen? Auch die Selbstverständlichkeit, mit der die Väter aus der Pflicht genommen werden, nervt mich. Was soll das? Die Zeiten haben sich geändert, und der Staat kann nicht mehr ohne Ende auf die unbezahlte Freiwilligenarbeit von Millionen Müttern bauen!
Ist das eigentlich nur hier in Bayern so? Oder hinkt das System Schule in ganz Deutschland so extrem hinter der Lebenswirklichkeit von Familien her? Dieses weltfremde Lächeln in den mütterlichen Gesichtern ist mir jedoch erst hier in Bayern aufgefallen. Naja, immerhin war ich für ein paar Tage stolz darauf, eine gute und fürsorgliche Mutter zu sein !